Der Dickdarm des Pferdes
Grundlagen
Der Dickdarm lässt sich in den Blinddarm, Grimmdarm und Enddarm einteilen. In der Dickdarmschleimhaut findet man keine Zotten mehr, nur noch Krypten sowie zahlreiche Becherzellen. Die Schleimhautoberfläche ist aber auch hier mit zahlreichen feinen Microvilli (Bürstensaum) ausgestattet. Die Anzahl der Becherzellen nimmt bereits am Dünndarmende zu und erreicht im Dickdarm dann ihr Maximum.
Der in diesen Zellen gebildete Schleim dient dem reibungslosen Transport der Futterbestandteile und erfüllt außerdem eine sehr wichtige Schutzfunktion. Einerseits werden Krankheitserreger durch die Schleimbarriere abgewehrt und abtransportiert, andererseits wird die empfindliche Schleimhaut geschützt.
Dickdarmverdauung
Mit Übergang des Nahrungsbreis in den Dickdarm beginnt die mikrobielle Verdauung. Die im Dünndarm nicht abgebauten Nährstoffe werden nun von Mikroorganismen im Blinddarm abgebaut.
Dazu gehören auch all jene Kohlenhydrate, die die Enzyme des Dünndarms gar nicht angreifen können: lösliche Fasern (Pektine, ß-Glukane) und unlösliche Fasern (Hemizellulose und Zellulose) sowie die in Gras und Raufutter vorkommenden Speicherzucker (Fruktane, Inuline, Levane).
Ist das Endprodukt der enzymatischen Verdauung von Kohlenhydraten im Dünndarm die Glukose, so entstehen aus den bisher nicht abgebauten Nahrungsbestandteilen beim Abbau der "faserigen" Kohlenhydrate im Dickdarm durch das Mikrobiom kurzkettige Fettsäuren die dem Pferd als Energiesubstrat dienen: Essigsäure, Propionsäure, Buttersäure und ein wenig Milchsäure.
Diese kurzkettigen Fettsäuren dienen der kontinuierlichen Energiebereitstellung. Propionsäure kann das Pferd in der Leber zur Bildung von Glukose und begrenzt zur Bildung von Glykogen (Speicherform der Glukose im Körper) nutzen.
Beim Menschen können die Dickdarmsymbionten nur sechs bis zehn Prozent des Energiebedarfs synthetisieren, beim Pferd decken die Stoffwechselprodukte von Billionen Mikroorganismen im Dickdarm - je nach Fütterung - bis zu 80 Prozent seines Energiebedarfes! Die flüchtigen Fettsäuren dienen auch gleichzeitig den Enterozyten und den Mikroorganismen als Nahrung.
Lignin (Holzstoff) aus verholztem Heu oder Stroh kann selbst die Bakterienflora des Pferdes nicht verdauen. Sehr grobes, stängeliges Heu enthält gleichzeitig in der Regel ein geringes Angebot an Zellulose und Hemizellulose. Ohne Substrat verarmt die Darmflora. Außerdem bindet Lignin schlecht Wasser, was Verstopfungen und Kotwasser zur Folge haben kann.
Wird zu wenig Rohfaser (Zellulose) gefüttert, verhungern diejenigen Mikroorganismen im Darm, die auf Zelluloseverarbeitung spezialisiert sind und andere Bakterienarten mit anderen Substratvorlieben können sich stark vermehren. Damit kommt es zu einer Veränderung der für das individuelle Pferd typischen Darmflorazusammensetzung (Dysbiose), die nicht nur die Verdauungsleistung, sondern auch die Rittigkeit stark beeinträchtigt, zu Blähungen führt und unter Umständen auch krank machen kann.
Das Mikrobiom des Dickdarm
Die erste Station des Dickdarms, der Blinddarm (Zäkum), beherbergt die größte Zahl an Mikroorganismen. Aber auch der zweite Teil, der Grimmdarm (Kolon), ist eine dicht mit Bakterien (und Protozoen) besiedelte Gärkammer.
Den Dickdarm besiedeln viele unterschiedliche Spezies, unter anderem Laktobazillen, Streptokokken, Enterobakteriazeen, anaerobe Peptostreptokokken und andere faserspaltende Mikroorganismen (Fibrobakter). Bis heute ist die Vielfalt dieser Keime wenig erforscht, man kratzt allenfalls an der Oberfläche. Man weiß aber, dass das Mikrobiom eines Pferdes unter anderem von Fütterung, Alter, Gesundheitsstatus, Stress und sogar Jahreszeit abhängt.
Wie Mensch und Hund, scheinen auch Pferde ihr ganz persönliches Darmmikrobiom zu haben. Die physiologische Darmflora setzt sich wahrscheinlich auch bei jedem Pferd individuell zusammen. Jedes einzelne hat somit seine ganz persönliche, individuelle Flora, die ebenso einzigartig ist wie beim Menschen der Fingerabdruck!
Art und Anzahl der Mikroorganismen ist abhängig vom Nahrungsangebot und einer intakten Schleimhaut. Bisher konnten mehr als 400 unterschiedliche Keime identifiziert werden. Im Dickdarm handelt es sich dabei überwiegend um Anaerobier, also Bakterien, die ohne Sauerstoff auskommen.
Krankheiten und Stoffwechselstörungen ziehen typische Veränderungen der Darmflora nach sich: Pferde mit Equinem Metabolischen Syndrom (EMS) haben eine andere Darmflora als gesunde Pferde, Pferde mit Durchfall und Kotwasser wieder eine andere.
Sicher ist aber, dass die Vielfältigkeit (Diversität) einen Vorteil darstellt, zeigen doch gerade Mikrobiomuntersuchungen an kranken Tieren eine Verarmung der Vielfältigkeit des Mikrobioms an. Aber auch andere Ergebnisse lassen staunen. Forscher (Leng J. et al.; 2024) untersuchten die Zusammensetzung der Darmbakterien von Vollblutfohlen, die für Flachrennen gezüchtet wurden, und deren Auswirkungen auf ihre langfristige Gesundheit und Leistung. Die Forscher kamen in der über drei Jahre hinweg an 52 Fohlen durchgeführten Studie zu dem Schluss, dass die Zusammensetzung der Darmbakterien in den ersten Lebensmonaten das Risiko für bestimmte Krankheiten und die spätere sportliche Leistung beeinflusst. Fohlen mit einer geringeren bakteriellen Vielfalt im Alter von einem Monat hatten ein deutlich höheres Risiko, an einer Atemwegserkrankung zu erkranken. Zudem ergab die Studie, dass Fohlen, die im ersten Lebensmonat mit Antibiotika behandelt wurden, im Alter von 28 Tagen eine deutlich geringere bakterielle Vielfalt aufwiesen als Fohlen, die nicht mit Antibiotika behandelt wurden. Diese Fohlen verdienten später auch deutlich weniger Preisgeld und hatten später im Leben eine höhere Rate an Atemwegserkrankungen. Wir können gespannt darauf sein, was die Forschung noch herausfindet.
Bisher weiß man, dass Anzahl und Aktivität der Darmflora von folgenden Punkten abhängen:
- Menge und Art der aus dem Dünndarm anflutenden Nährstoffe (unabgebaute Stärke, Eiweiße, Fette u.a.).
- Art und Menge an löslichen und unlöslichen Fasern sowie an unfermentierbarem Material (Lignin in überständigem, groben Heu, Stroh z.B.).
- Auch von der Anwesenheit durch die Dickdarmflora abbaubarer Kohlenhydrate wie der Speicherzucker Fruktan, Levane und Inulin. Studien konnten zeigen, dass Inulin zumindest im Labor dosisabhängig zu einem nicht unerheblichen Abfall des pH-Wertes im Blinddarm und damit zur Änderung des Mikrobioms führt.
- Der Pufferkapazität im Dickdarm (pH-Wert Schwankungen beeinträchtigen das Mikrobiom), das heißt, die Mikroorganismen brauchen ein ausreichendes Angebot an Eiweiß und dem darin enthaltenen Stickstoff sowie Mineralstoffe. Auch das Verhältnis von leicht und schwer abbaubaren Kohlenhydraten sollte ausgewogen sein.
Gefahren für den Dickdarm
Zu hohe Mengen an Getreidestärke oder die Gabe von Getreiden (unbehandelter Mais, Gerste), deren Stärke im Dünndarm schwer verdaulich ist, laufen in Gefahr in großen Teilen unverdaut in den Dickdarm zu gelangen. Dort können sie zu verstärkter Fermentation und einer höheren Besiedlung mit Lactobazillen führen. Diese Bakterien bilden vermehrt Milchsäure und der pH-Wert im Dickdarm fällt. Dadurch sterben andere Keime der Darmflora ab, die im sauren Milieu nicht überleben können. Aus der Zellwand der absterbenden Bakterien werden deren "Leichengifte", sogenannte Endotoxine, frei. Die durch den sauren pH-Wert geschädigte Darmwand ermöglicht einen Übertritt dieser Gifte in die Blutbahn. Dort belasten sie den gesamten Körper und insbesondere die Leber. Im schlimmsten Fall kommt es zu lebensbedrohlichem Durchfall, schweren Koliken und Hufrehe.
Rohfaser ist nicht gleich Rohfaser und Heu ist auch nicht gleich Heu. Die Bakterienarten im Dickdarm verdauen spezifische Fasern. Ändertsich die Rohfaserquelle, muss die Darmflora sich daran anpassen. Das kann das Anweiden im Frühjahr, das Ende der Koppelsaison im Herbst oder auch der Wechsel zwischen feinerem und gröberem Heu sein. Solch ein Futterwechsel ist ein viel größeres Problem für Pferde als wechselndes Kraftfutter. Bis die Bakterienarten wieder optimal auf die ankommenden Fasern abgestimmt sind, können einige Wochen vergehen. Wechselt die Rohfaserquelle ständig, kann sich die Darmflora nicht stabilisieren.
Die Fütterung von sehr grobem Heu oder viel Stroh kann zu einer energetischen Verarmung der Darmflora und Verstopfungen führen. Die Versorgung mit verdaulicher Rohfaser muss auf jeden Fall gesichert sein. Zu diesem Zweck kann man grobes Heu mit einem feinen Heu, Heucobs oder Rübenschnitzeln kombinieren.
Antibiotika sind wirksame Substanzen gegen Keime. Deshalb beeinflusst eine Antibiose – nicht jedes Antibiotikum im selben Ausmaß – auch das Mikrobiom. Daher sollte im Anschluss an eine Antibiotika-Therapie mit viel gut verdaulichem, hygienisch einwandfreiem Heu oder Gras ein gesundes Darmmikrobiom neu aufgebaut werden.
Beim Menschen wissen wir, dass Medikamente zum Magenschutz, wie Omeprazol, das Mikrobiom negativ beeinflussen. Daten vom Kleintier lassen darauf schließen, dass auch beim Pferd eine Dysbiose aufgrund langfristiger Omeprazolgabe zu erwarten ist. Dem Magenschutz kommt daher in der Fütterung besondere Bedeutung zu und sollte durch eine pferdegerechte Fütterung gewährleistet werden, bevor eine Omeprazolgabe notwendig wird.
Störungen der Magen- und Dünndarmverdauung führen häufig zu Störungen im Bereich der Dickdarmverdauung. Deshalb sollten Pferdebesitzer beim Auftreten von Kotwasser oder leichten Koliken nicht nur an die Dickdarmflora denken, sondern auch an den Magen, ja selbst an die Zahngesundheit. Denn nur ein gutes Gebiss ermöglicht eine gute Verdauung und nur ein gesunder Magen gewährleistet die physiologische Verdauung in den nachfolgenden Darmabschnitten.
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Literaturverzeichnis
Coenen M, Vervuert I. Pferdefütterung. 6. Aufl. Stuttgart: Georg Thieme Verlag; 2020.
Leng J. et al. Early-life gut bacterial community structure predicts disease risk and athletic performance in horses bred for racing. Scientific Reports, 14, 17124 (2024)