Wir sind alle Geschöpfe der Erde
Alle Geschöpfe dieser Erde fühlen wie wir,
alle Geschöpfe der Erde streben nach Glück wie wir,
alle Geschöpfe der Erde lieben, leiden und sterben wie wir,
also sind sie uns gleichgestellte Werke des allmächtigen Schöpfers.
Franz von Assisi
Schöne Worte, die zu Herzen gehen, hast Du gesagt. Lass mich ein wenig meditieren über diese Worte, die ich nicht nur einen Atemzug lang bewegend finden möchte, sondern so gerne bewusst leben möchte. Eintauchen und mich verlieren in der Einheit mit dem Leben um mich, um mich in diesem Moment gleichzeitig so bewusst als Individuum wiederzufinden.
Die Zeit hält den Atem an, Hektik wird Illusion und Frieden zur Wahrheit. Über die Jahrhunderte hinweg haben Menschen uns bewegende Gedanken hinterlassen, die heute nicht minder aktuell, ja vielleicht aktueller sind, als zu der Zeit, in der sie niedergelegt wurden.
Die Rede des Häuptlings Seattle, Bindings Reitvorschrift für eine Geliebte und viele andere mehr... vermutlich hat jeder eine kleine Sammlung von Gedanken, die ihm wichtig sind zu denken und zu fühlen. Du auch. Sprache verbindet und Sprache trennt aber auch, denn mit welchen Worten kann ich Dich hinein nehmen in meine Gefühlswelt, mein Streben nach Glück, in mein Lieben, Leiden, Leben und Sterben?
Sprüche wie den: “seit ich die Menschen kenne, liebe ich die Tiere” finde ich schrecklich, denn auch der Mensch ist Teil dieser Schöpfung. Und wer ihn ausgrenzt, grenzt auch sich aus der Schöpfung aus. Wir lernen Mathematik, Fremdsprachen, mit Hilfe der Naturwissenschaften die Erklärung für uns umgebende Phänomene wie Blitz und Donner, finden Erklärungen zur Pumpfunktion des Herzens, aber wir lernen nicht, aus einem liebenden Herzen heraus zu leben und uns als Teil der Schöpfung zu begreifen.
“Man sieht nur mit dem Herzen gut”, sagt der Kleine Prinz... Mit unserem mühsam erlernten und - realistisch betrachtet - recht kümmerlichen Wissen machen wir uns größenwahnsinnig zum Schöpfer; mit den erlernten Fremdsprachen verhandeln wir grammatikalisch korrekt über Macht und machen Geschäfte in der Absicht, dass sie für uns vorteilhaft sind, nicht im aufrichtigen Wunsch, sie mögen für alle Beteiligten gut sein.
Wir benutzen die Schöpfung zu unseren Zwecken und fragen nicht lange, welchen Nutzen wir der Schöpfung zu bieten haben. Tiertransporte, Massentierhaltungen, sie machen uns allenfalls betroffen, die Fähigkeit zum aufrichtigen Mitleiden ist wenigen unter uns geschenkt.
Wir berechnen in Excel-Tabellen den Nutzen von Menschen, Tieren, Bergen, Seen, Wäldern und sind darüber blind geworden für Vielfalt und Schönheit des Lebens, das uns umgibt. Kinder bewundern noch einen Stein, den Flug eines Vogels, wir Erwachsene lassen sie überlegen lächelnd gewähren und kehren, blind geworden, zurück zu unseren Wichtigkeiten und Geschäften. Wie sagt Walter Volpert: „Wir sperren unsere Gefühle in dunkle Verliese und wundern uns dann, wenn sie als Monster zurückkehren. Das alles macht uns krank und leer und einsam, und weil wir es nicht wahrnehmen wollen, platzen wir vor Leistungs- und Konkurrenzsucht und hängen unsere Liebe und unsere Achtung an chromglitzernde Autos und türkisflimmernde Heimcomputer.“
Weißt Du, als neulich die Fohlen geboren wurden, da machten mir die Stuten ein großes Geschenk: so energisch und entschlossen sie dazu bereit waren, die Neugeborenen selbst vor ihren Koppelfreunden abzuschirmen, so friedlich hielten sie ihren Kopf dicht an meinem und wir betrachteten gemeinsam “unser” im Stroh liegendes Kind. Die warmen weichen Nüstern der Mutterstuten an meiner Wange, kniete ich neben dem kleinen neugeborenen Wesen und durfte ihr samtweiches, kühles Fellchen streicheln. Welch ein Erlebnis, mit hinein genommen zu werden und willkommen zu sein in dieser innigen Beziehung zwischen Mutter und Kind.
Oder das Mutterschaf, das völlig hilflos und gelähmt seine Lämmchen auf die Welt brachte: sie wusste, dass ich um ihr Leben kämpfte und vertraute mir ihr Leben und das ihrer Kinder an. Wie freute ich mich über jeden Krümel Brot, den sie annahm und über jeden Tropfen Milch, den ich ihren Kindern einzuflößen vermochte. Wie freue ich mich, wenn mich die Kleinen heute stürmisch begrüßen und die Mutter, obwohl längst wieder gesundet, immer noch mitgebrachte Leckerbissen erwartet.
Versteh doch, dass mich das Aufstehen in der Nacht, um zu Tränken, nicht belastet, sondern glücklich gemacht hat. Wie kann ich Dir erklären, dass mir Erfolge weniger wichtig sind als diese Erlebnisse?
Wie kann ich Dir erklären, dass diese Erlebnisse der Motor meiner Arbeit und meines Lebens sind? Lehmverschmierte Hundepfoten auf dem Sofa sind Dir ein Attentat, mir eine (zugegeben lästige) Episode in einem Leben unendlicher Fülle.
Rehe auf der Wiese, einen Fuchs am Waldrand schnüren, den Flug eines Raubvogels zu sehen bedeutet mir tiefe Freude. Der Gesang einer Amsel am frühen Morgen, der Ruf des Käuzchens und das Quaken der Frösche spätabends bis in die Nacht ist für mich Musik des Lebens.
Und doch, manch einer versteht nicht, wie man bei diesem Lärm schlafen kann. Viele Menschen sind so weit entfernt vom Ursprung ihres Lebens, dass sie begonnen haben, einen bellenden Hund zu fürchten, verlangen ihn wegzusperren anstatt zu versuchen, sein Recht auf Leben anerkennend, die Mimik der Hunde verstehen zu lernen.
Warum fürchten sie sich nicht vor all den Schrecken in den täglichen Nachrichten? Wie reich sind diejenigen unter uns, die noch offene Augen für alle Geschöpfe dieser Erde haben und Herzen, die sehen können.
Dr.D.M.