Abschied

Ich weiß noch, wie Du in unserem Stall Einzug hieltest, anders kann man es nicht nennen,
denn in all Deiner Unsicherheit betratest Du Dein neues Zuhause dennoch wie eine Königin.

Foto: Julia Dzierzawa, Nürnberg
Foto: Julia Dzierzawa

Seit Wochen bange ich um Dich. Oder mehr um mich? Ich weiß es nicht, weiß nur, daß diese Entscheidung bei Dir so unendlich schwer ist. Schon oft mußte ich diese fürchterliche Entscheidung treffen und immer war sie schwer, selbst wenn sie nur noch schnelle Erlösung bedeutete. Doch Du hast einen besonderen Platz ganz tief in meinem Herzen eingenommen, der nur Dir gehören kann.

Ihr alle seid unvergleichlich, aber Du bist für mich die unvergleichlichste unter Deinen Artgenossen. Ich weiß noch, als wir uns kennenlernten: abweisend warst Du, voller Angst und dennoch stolz, schienst weder die Pferde noch die Menschen zu mögen (zumindest hast Du nach beiden getreten), bemühtest Dich, gefährlich auszusehen und beim Führen auf Deinen Hinterbeinen tanzend uns Angst zu machen.

Ich weiß noch, wie Du in unserem Stall Einzug hieltst, anders kann man es nicht nennen, denn in all Deiner Unsicherheit betratest Du Dein neues Zuhause dennoch wie eine Königin.

Irgendwie war es seltsam, Du warst hier und ich wußte, was Dir wichtig war und Du wußtest was mir wichtig war, wir brauchten keine Zeit um uns verstehen zu lernen, wir waren ganz selbstverständlich vertraut miteinander. Die Arbeit mit Dir war immer etwas Besonderes für mich, nie ein Muß, sondern immer ein Dürfen. Du hattest eine besondere Fähigkeit, Dich mir mitzuteilen und gleichzeitig mir jeden Wunsch schon im Voraus zu erfüllen.


Jetzt stehe ich neben Dir und kraule Deine Stirn, die Du so sanft gegen meine Hand schmiegst, eine Zärtlichkeit die nur uns beiden gehört und die wir beide genießen. In Deinen wunderschönen, großen glänzenden Augen sehe ich mein Spiegelbild; sehe mich darin klein, verzerrt und unbedeutend. Und doch habe ich die Verantwortung für Dich, die Pflicht, Deine Interessen wahrzunehmen und damit auch diese entsetzliche Not, nun über Dein Sterben bestimmen zu müssen. Wie gut ich Dich kenne, Deine Vorlieben und Deine Abneigungen... Du senkst den Hals, drehst den Kopf zu mir und steckst ihn unter meinen Arm.

In diesem Augenblick wird mir Dein tiefes Vertrauen und Deine Zuneigung zur Qual. Diese tiefe Nähe macht mir gleichzeitig schmerzhaft klar, wie weit wir dennoch voneinander entfernt sind, denn ich kann Dir nicht mitteilen, was mir durch den Kopf geht. Kann Dir nicht sagen, daß ich um Dich gekämpft habe und den Kampf verloren habe. Vielleicht spürst Du viel mehr, als ich ahne. Wahrscheinlich, denn schon oft habe ich mich gefragt, woher Du wußtest, was ich wollte oder worauf es ankam, wenn Du schon gehandelt hattest, bevor ich Dich dazu auffordern konnte. Du, wir müssen Abschied nehmen, nicht heute, aber irgendwann werde ich Dich auf diesem letzten Weg begleiten müssen.

Das letzte was Du spüren sollst, soll meine Liebe zu Dir sein, nicht meinen Schmerz Dich zu verlieren. Ich will daran glauben, daß es einen Himmel für Euch gibt, daß Du ohne Schmerzen auf himmlischen Weiden frei und glücklich sein wirst, ich will mich üben in diesen letzten Tagen nicht mehr zu trauern, sondern nur dankbar zu sein für die gemeinsame Zeit. Welch ein Glück Euch achten, lieben und verstehen gelernt zu haben und nicht als Sportgerät mißverstehen zu müssen. So ist meine Trauer eigentlich Glück, denn trauern kann nur derjenige, der liebt. Ich muß aufhören, um meinen Verlust zu bangen und stattdessen die Kraft aufbringen, Dir zuliebe diese für mich so schwere Entscheidung zu fällen. In meinem Herzen wirst Du immer weiterleben, an diesem ganz besonderen Platz, der nur Dir gehören kann.